Graduiertenkolleg
 

"Stochastische Modellierung und
quantitative Analyse großer Systeme
in den Ingenieurwissenschaften"


Inhalt:


Das Graduiertenkolleg ist interdisziplinär ausgerichtet und hat methodisch seinen Schwerpunkt in der Informatik und Mathematik. Die Anwendungen liegen in den Ingenieurwissenschaften (Maschinenbau, Verkehrstechnik, Elektrotechnik). Bisher wurden durch die DFG die ersten zwei Förderperioden vom 1. Oktober 2000 bis zum 30. September 2006 bewilligt.

Ziele, Programm und Struktur des Graduiertenkollegs

Zusammenfassung

Unter dem Namen "Stochastische Modellierung und quantitative Analyse großer Systeme in den Ingenieurwissenschaften" definiert das Graduiertenkolleg ein Programm zur Konstruktion komplexer technischer Systeme, deren Leistung und Zuverlässigkeit beurteilt, optimiert und garantiert werden sollen. Typische Anwendungen finden sich in den Bereichen Kommunikations-, Produktions-, Transport- und Verkehrstechnik. In all diesen Bereichen spielen zum Beispiel Fragen des Durchsatzes eventuell auch bei Störungen eine wichtige Rolle.

Bisher wurden diese Probleme in den einzelnen Disziplinen weitgehend unabhängig voneinander unter Verwendung von Methoden der Informatik (z.B. Modellierungs- und Simulationswerkzeuge) und der Mathematik (Stochastik) bearbeitet. Diese Arbeiten führten zu anwendungsbezogenen Lösungen. Bei genauerer Betrachtung zeigt es sich, daß häufig vergleichbare Fragestellungen bearbeitet werden und ähnliche Probleme auftreten.

So beschäftigt sich die internationale Forschung derzeit mit dem ungelösten Problem, daß realistische technische Systeme zu Modellen führen, deren Komplexität so hoch ist, daß sie nur bei radikaler Abstraktion von Systemeigenschaften gelöst werden können. Die hierbei gewonnenen Aussagen über Systeme sind dabei oft sehr ungenau, wobei häufig nicht einmal Aussagen über die Genauigkeit möglich sind.

Solche Fragen der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von Systemen sollen durch gemeinsame interdisziplinäre Forschungsanstrengungen der beteiligten Fachgebiete beantwortet werden. In Berlin sind eine Vielzahl wissenschaftlicher Institutionen und Forschungsprojekte mit einer entsprechenden thematischen Ausrichtung angesiedelt. Die Notwendigkeit eines Forschungs- und Studienprogramms zur Lösung dieser Probleme wird daher in Berlin besonders deutlich.

Neben der Forschung nehmen die Kollegiatinnen und Kollegiaten aktiv am Studienprogramm des Graduiertenkollegs teil. Dieses ist in verschiedene Phasen eingeteilt. Es werden unter anderem Einführungs- und forschungsbegleitende Lehrveranstaltungen angeboten. Neben der Teilnahme am nationalen und internationalen Forschungsleben berichten die Kollegiatinnen und Kollegiaten regelmäßig im Kolleg über ihre Arbeit.

Ziele

  1. Abgestimmte und benennbare Forschungsergebnisse in einem bisher aufgrund seiner Interdisziplinarität nicht einheitlich dargestellten Forschungsbereich
  2. Konzentrierung und Abstimmung von bestehenden Forschungsaktivitäten unter einem Thema mit dem Effekt der gegenseitigen Befruchtung
  3. Ausbildung von hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf einem Gebiet mit großen Entwicklungschancen
  4. Verkürzung der Promotionszeit
  5. Verbesserung der Ausbildungssituation und speziell des Lehrangebots der beteiligten Bereiche, insbesondere im Hinblick auf neue Lehrformen und interdisziplinäre Veranstaltungen
  6. Stärkung der technologischen Entwicklung in Berlin durch die Forschungsergebnisse und die Qualifikation der Absolventinnen und Absolventen
  7. Schwerpunktsetzung in Forschung und Lehre auf dem bearbeiteten Gebiet

Forschungsprogramm

Komplexe technische Systeme sind heute im menschlichen Umfeld allgegenwärtig. Wichtige Beispiele sind Kommunikations-, Produktions-, Transport- und Verkehrstechnik. Ihre hohe Bedeutung für unsere Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft steht außer Zweifel. Zu ihrer Beherrschung sind während des gesamten Lebenszyklus fundierte Methoden und Softwarewerkzeuge notwendig. Diese basieren auf einer Abbildung des Systems (oder eines interessierenden Teils) in ein rechnerinternes Modell. Ohne eine derartige Unterstützung sind zunehmend weder eine qualifizierte Planung, Optimierung, noch ein effizienter und risikoarmer Einsatz möglich.

Die Entwicklung und Anwendung von Methoden zur Abbildung und Untersuchung solcher großen aus den Ingenieurwissenschaften stammenden Systeme kann heute nicht mehr von einer Wissenschaftsdisziplin allein geleistet werden. Für ihre technische Beherrschung sind tiefgehende Kenntnisse aus den Bereichen Informatik und Mathematik sowie den jeweiligen Anwendungsgebieten notwendig. Außerdem wurden in den einzelnen Anwendungsdisziplinen spezialisierte Lösungen entwickelt, deren Übertragung und Anpassung auf andere Disziplinen lohnend erscheint. Eine interdisziplinäre Behandlung ist daher naheliegend.

Charakteristisch für die betrachteten Systeme der Ingenieurwissenschaften sind vorrangig diskrete Ereignisse. Für manche Anwendungsgebiete müssen aber auch gemischt diskret-kontinuierliche Vorgänge und Zustände betrachtet werden. Für die quantitative Bewertung und Optimierung unter Leistungs- und Zuverlässigkeitsaspekten müssen Zeiten im Modell berücksichtigt werden. Eine realistische Abbildung erfordert sowohl stochastische Zeitangaben (etwa bei der Modellierung von zufälligen Ausfällen) als auch deterministische Zeiten (etwa bei getakteten Systemen oder bei Zeitschranken in harten Echtzeitsystemen). Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist die zunehmende Größe und Komplexität der zu untersuchenden Systeme. Diese schlägt sich im Modell nieder und macht eine Analyse mit herkömmlichen Methoden unmöglich. Die internationale Forschung beschäftigt sich derzeit intensiv mit dieser Problematik, um die immer komplexer werdenden Anwendungen mit hinreichender Genauigkeit untersuchen zu können.

Ausgangspunkt einer rechnergestützten Untersuchung komplexer Systeme ist stets ein Modell. Für die Beschreibung der Modelle werden verschiedene Beschreibungsmethoden und damit verbundene Analyseverfahren aus der Informatik und Mathematik benutzt, wie beispielsweise Markow-Ketten, Warteschlangen, stochastische Petri-Netze und stochastische Prozeßalgebren. Sie erfordern jedoch meist sehr gute mathematische Kenntnisse und begegnen häufig Vorurteilen bei der praktischen Anwendung in den Ingenieurwissenschaften. Kritisiert wird oft das hohe Abstraktionsniveau der Beschreibung. In den Anwendungsdisziplinen sind eigene Begriffswelten und Beschreibungsmethoden entstanden, die zum Teil de facto Standards darstellen. Um eine Benutzung der umfangreichen vorhandenen theoretischen Erkenntnisse zu erleichtern, sind daher auf das spezielle Anwendungsgebiet und seine Besonderheiten zugeschnittene Modellierungsmethoden notwendig. Umgekehrt werden durch den Austausch zwischen angewandter und eher methodenorientierter Forschung auf diesem Gebiet wichtige Impulse für die Zielsetzung theoretisch orientierter Arbeiten erwartet.

Bei der Bearbeitung der genannten Problemstellungen ist eine interdisziplinäre Herangehensweise notwendig, die neben den Methoden der Informatik und Mathematik gleichermaßen die Anwendungsbereiche in den Ingenieurwissenschaften berücksichtigt. Unabhängig vom jeweiligen Anwendungsgebiet ist das gemeinsame Bindeglied eine rechnergestützte Umsetzung mathematischer Methoden. Die Modellierung im ersten Schritt muß rechnerunterstützt erfolgen, wobei formale Beschreibungstechniken eingesetzt werden. Die Visualisierung der Ergebnisse erfordert Methoden der Computergraphik. Zur Untersuchung und Bewertung des Modells sind stochastische Verfahren mit der zugehörigen Numerik notwendig.

In der Zukunft werden Methoden und Werkzeuge zur Lösung der beschriebenen Probleme einen immer wichtigeren Stellenwert einnehmen. Viele aktuelle Projekte der beteiligten Fachgebiete berücksichtigen diese Entwicklung bereits und betreten damit Grenzbereiche zu anderen Fächern. Vor diesem Hintergrund erscheint die gemeinsame interdisziplinäre Arbeit im Graduiertenkolleg als wichtiger Schritt zur Integration und Abstimmung der Forschungstätigkeit.

Die Einrichtung eines Graduiertenkollegs mit dem beschriebenen Themengebiet soll die dringend notwendige Ausbildung von hochqualifizierten Nachwuchskräften auf diesem zunehmend wichtigen Gebiet sicherstellen. Die Möglichkeiten der einzelnen Studiengänge sind dafür zu begrenzt. Erst nach einer Ausbildung in den heute vorhandenen fachlichen Grundlagen einer der Disziplinen Informatik bzw. Mathematik oder einer der beteiligten Ingenieurwissenschaften wird ein darauf aufbauendes Graduiertenstudium sinnvoll. Das Kolleg wird der zunehmenden Bedeutung interdisziplinärer Forschung und Lehre im Grenzgebiet zwischen den beteiligten Fachrichtungen Rechnung tragen. Es soll den teilnehmenden Universitäten die Möglichkeit eröffnen, in der Forschung und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf diesem sehr wichtigen Gebiet einen Schwerpunkt zu setzen.

Das geplante Forschungsprogramm ist in Berlin besonders gut angesiedelt, da hier die einzelnen Themengebiete durch verschiedene beteiligte Institutionen (Institut FOKUS der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin) und Universitäten (Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin) auf engem Raum abgedeckt werden. Das am Standort Berlin vorhandene wissenschaftliche Potential kann durch das Kolleg optimal genutzt werden. In zahlreichen Forschungsprojekten der Teilnehmer wurden bereits Erfahrungen auf dem zu bearbeitenden Gebiet gesammelt, deren Ergebnisse international publiziert wurden. Das wissenschaftliche Umfeld erlaubt daher die erfolgreiche Bewältigung umfangreicher und thematisch übergreifender Problemstellungen, da an vorhandene Ergebnisse angeknüpft werden kann und sich zahlreiche Möglichkeiten zur Zusammenarbeit ergeben. In diesem Zusammenhang sind auch die weltweiten Kontakte der beteiligten Professoren mit anderen, auf ähnlichem Gebiet arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von großer Bedeutung.

Bei der Arbeit im Forschungsprogramm "Stochastische Modellierung und quantitative Analyse großer Systeme in den Ingenieurwissenschaften" sind die Informatik und die Mathematik eher methodenorientiert und die Ingenieurwissenschaften anwendungsorientiert. Die Integration dieser Bereiche in einem Forschungsprogramm soll die Verbindung von wissenschaftlicher und technologischer Entwicklung stützen.

Die beiden Richtungen stehen dabei nicht unabhängig nebeneinander, sondern liefern erfahrungsgemäß Ergebnisse bzw. Fragestellungen für die jeweils andere Richtung. Innerhalb der Anwendungsrichtungen müssen ähnliche Fragestellungen in verschiedenen Gebieten beantwortet werden. Die eingesetzten Methoden und Werkzeuge sind zwar auf das Anwendungsgebiet zugeschnitten, können aber wichtige neue Impulse für Weiterentwicklungen auch in den anderen Anwendungsbereichen geben. Daraus entsteht eine starke Motivation der Kollegiatinnen, Kollegiaten und Professoren zur intensiven Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg. Das beantragte Graduiertenkolleg initiiert damit unter dem gewählten interdisziplinären Thema eine neue Kooperation der betreuenden Professoren bei der gemeinsamen Bearbeitung innovativer Forschungsansätze.

Bereich Informatik

Prof. Hommel: Methoden und Softwarewerkzeuge für die Modellierung und Analyse der Leistung und Zuverlässigkeit komplexer Systeme mit stochastischen Petri-Netzen

Im Bereich Informatik werden neuartige Methoden entwickelt und in Werkzeugen implementiert, mit denen komplexe stochastische Systeme modelliert und untersucht werden können. Dabei müssen mathematische Verfahren effizient in Software umgesetzt werden. Die Anforderungen bezüglich Modellierung und Bedienung werden durch die Anwendungsgebiete vorgegeben.

Für geeignete Beschreibungsmittel sind benutzungsfreundliche grafische Oberflächen zu entwickeln. Bei der Modellierung und Analyse ist die technische Lösung des Größenproblems aller praktischen Anwendungen anzugehen. Approximative Methoden und Dekompositionsansätze erscheinen dafür vielversprechend. Für Anwendungsbeispiele mit zu großem Zustandsraum und zur Überprüfung neu entwickelter numerischer Analyseverfahren sind innovative Simulationswerkzeuge mit sicherer statistischer Bestimmung der Genauigkeit notwendig. Neuartige Rechner- und Kommunikationsstrukturen müssen untersucht werden, um eine verteilte, skalierbare und fehlertolerante Auswertung großer Modelle zu ermöglichen.

Prof. Malek: Responsivität und Kompositionalität: Verfahren und Werkzeuge zur komponentenbasierten Konstruktion großer responsiver Systeme unter Wahrung von Echtzeit- und Fehlertoleranzeigenschaften

Mit voranschreitender Entwicklung der Hardware-Technologien sind die technischen Voraussetzungen immer besser geeignet, um komplexe Software-Systeme zum Einsatz bringen zu können. Konzepte der Komponierbarkeit und komponentenbasierte Softwaresysteme sind eine Möglichkeit, mit komplexen Systemen umgehen zu können. Auf dem Gebiet offener, verteilter Systeme und objektbasierter Middleware existieren eine Reihe erfolgversprechender Arbeiten. Aktueller Forschungsgegenstand sind Modelle, Verfahren und Werkzeuge zur Übertragung dieser Lösungen auf eingebettete echtzeitfähige Systeme. Gesucht sind ein Komponentenmodell, Beschreibungssprachen, sowie darauf basierende Methoden zur Automatisierung der Systemkomposition responsiver Systeme.

Responsivität beschreibt die Fähigkeit eines Systems, einen Dienst unter gegebenen Last- und Fehlerannahmen rechtzeitig zu erbringen. Responsive Systeme erreichen Fehlertoleranz und Echtzeitverhalten durch Redundanz in Raum und Zeit. Im Zeitalter weltweit vernetzter Rechnersysteme (Web) besteht dringender Bedarf, diese Art von Systemtechnologie einer breiten Basis von Nutzern in heterogenen, verteilten Umgebungen zugänglich zu machen. Ein Ziel der Forschungsaktivitäten ist eine CORBA-basierte Softwareumgebung für responsive (fehlertolerante, echtzeitfähige) Dienste. Schlüsselkonzept des Ansatzes ist die Benutzung von Konsensalgorithmen für die Synchronisation, für zuverlässige Kommunikation und zur Fehlerdiagnose zwischen replizierten Server-Objekten.

Bereich Mathematik

Prof. Grötschel: Kombinatorische Optimierung und Scientific Computing

Die Deregulierung im Bereich Telekommunikation hat zu einer enormen Marktentwicklung, zu harter Konkurrenz, neuen Technologien und Produkten bei gleichzeitigen Kostenreduktionen geführt. Trotz des rasanten Verkehrszuwachses gibt es große Unsicherheiten in Bezug auf die zu erwartenden Verkehrsströme, die Auswirkung der Einführung neuer Dienste, die Akzeptanz solcher Dienste, etc. Es besteht erheblicher Forschungsbedarf bei der adäquaten mathematischen Modellierung damit zusammenhängender Sachverhalte und, daraus abgeleitet, der Optimierung solcher Modelle. In der Regel führt eine vollständige und präzise Modellierung zu extrem großen Modellen, die numerisch nicht gelöst werden können.

Die Arbeitsgruppe am ZIB führt mehrere Projekte in diesem Bereich in Zusammenarbeit mit bedeutenden Telekommunikationsunternehmen durch. Dabei handelt es sich u. a. um die kostengünstige Auslegung und Erweiterung von Telekommunikationsnetzen unter Berücksichtigung der Einführung neuer Dienste, um Routen- und Standortplanung, um Frequenzzuweisung im Mobilfunk, etc.

Zukünftig wird eine stärkere Verknüpfung technischer Weiterentwicklungen und gesamtökonomischer Überlegungen von immer größerer Bedeutung. Es gibt Planungsgruppen bei Telekommunikationsunternehmen, die z. B. herausfinden wollen, was ein "ideales Netz" ist. Die Modellbildungen hierzu befinden sich jedoch noch in sehr rudimentärem Zustand.

Die beginnende Deregulierung im Verkehrsbereich (u. a. im öffentlichen Nahverkehr) wird ähnliche Entwicklungen im Verkehrsmarkt induzieren. Neu auftretende Konkurrenz wird Kostendruck bewirken, bestehende Verkehrsbetriebe müssen sich auf innovative Weise dem Markt anpassen. Auch hier besteht große Unsicherheit über die Zukunft, was zu Versuchen der Modellierung des (mittel- bis langfristigen) Marktgeschehens in technischer und organisatorischer Hinsicht führt.

Die Arbeitsgruppe am ZIB führt verschiedene Projekte mit Verkehrs- und Softwarefirmen durch, die unter anderem die Einsatzplanung von Fahrzeugen und die Personaleinsatzplanung betreffen.

Ein Trend in Führungsebenen der Verkehrsbetriebe geht dahin, Maßstäbe für ein "gutes" Verkehrsangebot zu ermitteln. Auch hier sind die Modellierungsversuche noch in den Anfängen, speziell wenn man die Privatisierung von öffentlichen Angeboten einbeziehen will.

Es ist derzeit keineswegs klar, welche mathematischen Modellansätze (z. B. Modelle der stochastischen Optimierung, Gleichgewichtsmodelle) bei der Formulierung der oben angesprochenen Fragestellungen in der Telekommunikation und im Verkehr praxistauglich sind, für welche Modelle brauchbare Daten erhoben werden können, und ob sie zu stabilen Lösungen führen. Es ergibt sich daher ein weites Forschungsfeld, das Mathematik, Informatik, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften miteinander verknüpft.

Prof. Möhring: Algorithmische Mathematik

Die effiziente Nutzung knapper Ressourcen ist angesichts der zunehmenden Globalisierung von eminenter Bedeutung in Wirtschaft, Industrie und öffentlichem Sektor. Neue Produktionstechniken erfordern eine genauere Planung der zeitlichen Abläufe (Scheduling), Verkehrsunternehmen planen bessere Taktfahrpläne (zyklisches Scheduling) und existierende Netze (Telekommunikation, Straßennetz) müssen vorhandene Ressourcen besser nutzen (Routing in Telekommunikationsnetzen, Verkehrsleitsysteme).

Die in diesen Bereichen auftretenden Planungs- und Produktionsprobleme führen typischerweise auf sehr große kombinatorische Optimierungsprobleme, bei denen zudem gewisse Parameter mit Unsicherheit behaftet sind (stochastische Einflüsse). Die Arbeitsgruppe "Algorithmische Mathematik" befaßt sich hierzu sowohl mit grundlagenorientierter Forschung (Netzwerkoptimierung, Graphenalgorithmen, stochastisches Scheduling), wie auch punktuell mit der Anwendung der Theorie in der Praxis (FuE-Vorhaben mit Unternehmen aus den Bereichen Verkehr, Telekommunikation und Produktion). Die Zusammenarbeit mit Informatikern und Ingenieuren bietet die Möglichkeit, die vorhandenen Modelle realistischer zu gestalten, die Methoden weiter zu entwickeln und auch in anderen Bereichen zu erproben.

Prof. Römisch: Stochastische Optimierung

Die fortschreitende Liberalisierung von Märkten, die Nutzung knapper Ressourcen und der Einsatz moderner Technologien erfordert die Entwicklung komplexer mathematischer Modelle, die insbesondere auch die Ungewißheit über Modellparameter und Eingangsgrößen adäquat abbilden. Die Optimierung solcher Modelle führt oft auf stochastische Optimierungsprobleme großer Dimension mit stetigen oder gemischt-ganzzahligen Variablen. Ein Beispiel dafür sind Modelle zur Erlösmaximierung von Energieversorgungsunternehmen, die über ein hydrothermisches Erzeugungssystem verfügen und auf dem liberalisierten Energiemarkt agieren. Dabei sind Echtzeitentscheidungen ebenso von Bedeutung wie Planungsentscheidungen über kurz-, mittel- und langfristige Zeithorizonte jeweils bei stochastischen Preisen und Inputs sowie bei zunehmender Stochastizität der zu deckenden elektrischen Last. Ein weiteres Beispiel sind Modelle zur Fahrplan-Optimierung verfahrenstechnischer Anlagen (z.B. Destillationskolonnen) bei stochastischen Inputs. Aus mathematischer Sicht sind Strukturen, Approximationen und Lösungsalgorithmen für solche praxisrelevanten stochastischen Optimierungsmodelle zu untersuchen bzw. zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit Informatikern und Ingenieuren aus Forschung und Industrie sind die Modelle und ihre zugehörige Datenbasis abgestimmt zu entwickeln.

Bereich Ingenieurwissenschaften

Prof. Fricke: Flugführung und Luftverkehr

Die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen im Bereich des Luftverkehrs lassen erkennen, daß an die Betreiber von Verkehrsflughäfen in naher Zukunft wesentlich höhere Anforderungen als bisher gestellt werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen neuartige Standards definiert und Werkzeuge zur Unterstützung der operativen Planung bereitgestellt werden.

Dies gilt insbesondere für Fragestellungen auf dem Gebiet der Passagierabfertigung. Hier werden Verfahren benötigt, die eine Beschreibung der teilweise stochastischen Vorgänge im Terminal gestatten. Begleitend dazu müssen Kenngrößen zur Beurteilung der Situation im Terminal definiert und Methoden zur Messung der Passagierströme entwickelt werden. Die Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet zeigen, daß gerade hier noch ein großer Forschungsbedarf besteht und zugleich vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Mathematik und Informatik in ihrer Anwendung für die o.a. Probleme weitgehend ungenutzt bleiben.

Auf dem Gebiet der Flugführung ist in ähnlicher Weise ein Handlungsbedarf zu erkennen. Hier werden Werkzeuge zur Unterstützung der Fluglotsen bei der optimalen Nutzung der Luftverkehrswege sowie zur Beurteilung der optimalen Nutzung der Start- und Landebahnen und der An- und Abflugverfahren im Flughafennahbereich benötigt.

Alle genannten Verfahren müssen in anwendergerechte Softwareprogramme mit graphischen Benutzungsoberflächen umgesetzt werden und für eine interaktive Anwendung durch die Benutzer geeignet sein.

Prof. Krause: Industrielle Informationstechnik

Die Konstruktion und die technologische Planung als Aufgaben der Produktentwicklung einschließlich der Einbeziehung der Fertigungserprobung in die Produktentstehung sind zunehmend den Anforderungen ausgesetzt, die durch Kosten- und Zeitdruck entstehen sowie durch einen hohen Innovationsgrad und optimale Qualität der Produkte gekennzeichnet werden. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, müssen leistungsfähige Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden, die alle Planungs- und Entwicklungsprozesse effektiv unterstützen können und dabei den gesamten Produktlebenszyklus berücksichtigen. Für das Fachgebiet Industrielle Informationstechnik bestehen die vorrangigen Aufgaben in der Entwicklung und Bereitstellung integrierter IT-Konzepte und -Werkzeuge für den gesamten Produktentstehungsprozeß. Hierbei werden aktuelle methodische Ansätze berücksichtigt und angepaßt sowie innovative Technologien (z. B. Virtual Reality, Rapid Prototyping, etc.) optimiert und angewendet.

Im Bereich der Produktentwicklungsprozesse, deren Verflechtung durch gleichzeitige Entwicklung unterschiedlicher Produkte zu komplexen Prozeßnetzwerken führt, werden erfolgversprechende Wege mit der kennzahlenbasierten Bewertung von Prozeßketten und der Simulation der Prozesse beschritten. Die dafür erforderliche Modellierung der Prozesse beschreibt die durchzuführenden Aktivitäten, die zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie den organisatorischen Aufbau der realisierenden Unternehmenseinheiten.

Produktentwicklungsprozesse werden durch zufallsbedingte Ereignisse massiv beeinflußt und verändert. Bei der Modellierung werden diese Ereignisse nur stark eingeschränkt berücksichtigt. So können chaotische Entwicklungsvorgänge, wie sie in der Realität insbesondere in extrem zeitkritischen Situationen vorkommen, nicht abgebildet werden. Hier bietet die stochastische Modellierung zusätzliche Möglichkeiten und neue Perspektiven, die Modellierung von Entwicklungsprozessen zu verbessern und komplexe Prozeßnetze mit dem Ziel der Optimierung zu durchdringen. Diese Modelle können auch als Basis für tiefergehende Analysevorgänge genutzt werden. Die bisher durchgeführte Prozeßkettenbewertung, die auf den Produktentstehungsprozeß beschränkt ist, basiert auf einem Kennzahlensystem, das sich aus den verschiedenen Sichten auf den Entwickungsprozeß ergibt. Eine Ausweitung des Betrachtungsbereiches und die Weiterentwicklung der Prozeßkettenbewertung in Richtung einer quantitativen Analyse eröffnet auch hier ein großes Verbesserungspotential.

Im Bereich der Produktmodellierung führt die Verknüpfung von geometrischen Modellen mit semantischen Informationen zu einer deutlichen Steigerung der Komplexität der handzuhabenden Modelle und damit zu einer Erhöhung der Anwendungsbreite und -tiefe der darauf aufsetzenden Technologien. Die vorhandenen Ansätze einer realitätsnahen Modellierung, die beispielsweise Korrosion oder Verschleiß abbilden, müssen in Richtung einer physikalischen Modellierung weitergeführt werden. Die Abbildung stochastischer Verhaltensmuster ist in diesem Zusammenhang zielführend.

Prof. Seliger: Montagetechnik und Fabrikbetrieb

Die rasche Entwicklung und Umsetzung innovativer Produkte und Prozesse schafft Wettbewerbsvorteile. Um Geschäftsmöglichkeiten nach Zeit, Kosten und Qualität zielgenau wahrnehmen zu können, muß das Unternehmen Wissen schnell kombinieren, weltweite Ressourcen mit minimalem Aufwand nutzen und Kundenwünsche genau erfüllen. Ziel des Fachgebiets Montagetechnik und Fabrikbetrieb ist es, die konsequente Nutzung von Modellierungs- und Untersuchungstechniken des Fabrikbetriebs und von Geschäftprozessen als Chance zur Verkürzung von Produktentwicklungszeiten und Auftragsdurchlaufzeiten zu begreifen. Das wissenschaftliche Profil des Fabrikbetriebs wurde durch die wirtschaftliche Planung und Steuerung von Fertigungssystemen, die Entwicklung und Nutzung von informationstechnischen Werkzeugen zur produktionslogistischen Simulation und die wissensbasierte Diagnose von Montageprozessen als Werkzeug zur Erhöhung der Zuverlässigkeit geprägt. Des weiteren sind Arbeiten zur methodischen Bewertung recyclinggerechter Produktgestaltung und zur Organisation von Demontagesystemen entstanden. Das Fachgebiet Montagetechnik und Fabrikbetrieb verfolgt in diesem Vorhaben zwei Entwicklungslinien:

Prof. Wolisz: Telekommunikationsnetze

Telekommunikationsnetze bilden ein klassisches Feld der Anwendung für diskrete stochastische Modelle. In der Tat wurden fundamentale Arbeiten in der Stochastischen Verkehrstheorie (wie zum Beispiel die von Erlang) gerade durch Fragestellungen der Telekommunikationsnetze motiviert.

Im Gegensatz zu den Fragen der klassischen Modellierung von leitungsvermittelten Telefonnetzen stehen zur Zeit die Fragen der Dienstqualitätzusicherung in paketvermittelnden Netzen, insbesondere im Internet, im Vordergrund. Die grundsätzliche Aufgabe besteht darin, Verkehrsströme für Multimediakommunikation (Dateitransfer, Sprache und Bild) nebenläufig durch das Netz mit unterschiedlicher, den einzelnen Flüssen angepaßter Dienstqualität zu leiten. Die offenen Fragen beziehen sich auf die Zulassung und Überlastkontrolle im Netz, aber auch auf die Auswahl geeigneter Schedulingverfahren in den einzelnen Knoten, sowie nicht zuletzt auf die Fragen der dezentralen Adaption der einzelnen Quellen an die aktuell vorhanden Netzkapazitäten. Die Fragestellungen erschweren sich noch wesentlich, wenn das Telekommunikationsnetz aus einer Hochgeschwindigkeitsverbindung (auf Basis optischer Übertragung) mit einem Funkzugangsnetz (wie GSM, GPRS, UMTS oder drahtlose LANs) besteht, wo die beiden Komponenten wesentlich unterschiedliche Übertragungseigenschaften besitzen.